Herzog Sobieslaus II. von Böhmen:
ca. 1176
Freiheitsbrief für die Prager Deutschen  
»Wißt, daß die Deutschen freie Leute sind!«  
  1. Ich, Sobieslaus, Herzog der Böhmen 1) , tue allen Gegenwärtigen und Zukünftigen kund, daß ich in meine Gnade und meinen Schutz nehme die Deutschen, die in der Prager Vorburg wohnen, und es beliebt mir, daß diese Deutschen, so wie sie von den Böhmen durch die Volkszugehörigkeit verschieden sind, auch von den Böhmen und von ihrem Gesetz oder ihrer Gewohnheit geschieden sein sollen.
  2. Ich räume also diesen Deutschen ein, nach dem Gesetz und Rechte der Deutschen zu leben, das sie seit der Zeit meines Großvaters, des Königs Wratislaus 1) , gehabt haben.
  3. Einen Pfarrer, den sie nach ihrem Belieben für ihre Kirche 2) auswählen mögen, räume ich ihnen ein und einen Richter. In ähnlicher Weise soll auch der Bischof ihrem Verlangen keineswegs widersprechen.
  4. Wegen Diebstahls ... sollen sie mit sieben Händen schwören.
  5. Zu keiner Heerfahrt sollen sie ziehen, außer wenn für das Vaterland zu kämpfen wäre.
  6. Wenn der Herzog außerhalb Böhmens auf einer Heerfahrt ist, dann sollen die Deutschen Prag bewachen mit zwölf Schilden bei jedem Tore.
  7. Über Tötung zu richten steht dem Fürsten zu, und zwar sollen dem Fürsten für einen Totschlag zehn Talente Pfennige Regensburger Münze gezahlt werden oder die rechte Hand des Töters oder es werde nach Gnade beigelegt.
  8. Wer den Frieden unter ihnen gebrochen hat, der Schuldige zahle dem Fürsten zehn Talente.
  9. Wenn ein Böhme mit einem Deutschen eine Rechtssache hat, die mit Zeugen bewiesen werden soll, da habe der Böhme gegen den Deutschen zwei Deutsche und einen Böhmen, alle getreu.
  10. In ähnlicher Weise wenn ein Deutscher mit einem Böhmen eine Rechtssache hat, dann habe der Deutsche gegen den Böhmen zwei Böhmen und einen Deutschen, aber getreue.
  11. Ähnliches gilt von Romanen3) und Juden.
  12. Weiters, wenn ein Böhme oder Romane 3) oder wer immer einen Deutschen beschuldigt hat, dann soll der oberste Kämmerer 4) einen Boten an den Richter der Deutschen senden und der Richter der Deutschen wird diese Sache richten, und da steht dem Kämmerer nichts weiter zu.
  13. Und ich räume den Deutschen auch ein, daß sie frei seien von Gästen. Fremden und
    Ankömmlingen. Wißt, daß die Deutschen freie Leute sind!
  14. Jeder Ankömmling oder Gast, von welchem Land er kommt, der mit den Deutschen in der Gemeinde wird wohnen wollen, soll das Gesetz und die Gewohnheiten der Deutschen haben.
  15. Wenn eine gestohlene Sache bei einem Deutschen ist, soll sie in Gegenwart des Richters der Deutschen herausgenommen werden.
  16. Wenn der Dieb ein Deutscher ist, dann wird der Fürst über ihn richten.
  17. Wenn ein Dieb in der Nacht ergriffen wird, wird er gehängt. Wenn er bei Tag ergriffen wird, wird er öffentlich ausgestäupt und wird die Gemeinde abschwören; wenn er nachher ergriffen wird, wird er gehängt.
  18. Was immer die Deutschen tun, so werden sie nicht gefangengenommen, noch in den Kerker gesetzt, wenn sie Bürgen oder ein eigenes Haus haben.
  19. Welcher Sache immer die Deutschen schuldig oder beklagt sein werden, so sollen ihre Kinder und Ehefrauen keinerlei Schaden oder Bedrängnis erleiden.
  20. Wenn jemand nachts durch die Siedlungen der Deutschen gegangen wäre und keine Fackel gehabt hätte, wenn der getötet wird, sind die Deutschen unschuldig.
  21. Wenn falsches oder zerbrochenes Geld in der Truhe eines Deutschen gefunden worden wäre, ist der schuldig, dessen die Truhe ist. Würde es aber im Hofe oder im Hause gefunden, ist der unschuldig, dessen das Haus oder der Hof ist, wegen der übelwollenden und mißgünstigen Menschen, die solches in Häuser oder Höfe hineinzuwerfen pflegen.
  22. Wenn ein gestohlenes Pferd bei einem Deutschen erkannt worden wäre, dann wird der,der das Pferd erkennt, vorher schwören, daß er die Sache dieblich verloren habe; dann wird der Deutsche schwören, stehend in einem Kreise, der mit dem Schwert auf der Erde gezogen ist, daß er das Pferd oder die Sache nicht gestohlen habe, sondern gekauft, und daß er den Verkäufer oder dessen Haus nicht kenne.
  23. Nirgends sollen die Deutschen schwören als vor der Kirche des heiligen Petrus2, es sei
    denn des Fürsten Auftrag.
  24. Wenn eine heimliche Schenke im Haus eines Deutschen entdeckt worden wäre, dann soll der Herr des Hauses gefangengenommen werden, in Gegenwart des Richters der Deutschen oder seines Boten, und niemand anderer.

Anmerkungen:
1) Basis der Rechtsstellung der Prager Deutschen waren die Festlegungen König Wratislaws II.
(1061-1092), die Sobieslaw II. (1173-1178) in diesem Dokument bestätigte.
2) Die (in Ziff. 23 genannte) deutsche Pfarrkirche St. Peter.
3) Vermutlich: Aus den Niederlanden gekommene Wallonen.
4) Zugleich einer der obersten Richter.


Quelle: »Quellenbuch zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie«; hsg. v. Karl Schober; Bd. I; Wien, 1886; S. 302 ff.

 


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